Der Zeitpunkt unseres Wendepunktes im Iran ist nicht nur ein Wendepunkt für unsere Reise, sondern möglicherweise auch einer für das ganze Land. Zwei Tage zuvor, am 16. September ist Mahsa Amini gestorben, eine junge Frau, die ihr Kopftuch nach Ansicht der Sittenpolizei nicht richtig getragen haben soll. Zur Strafe wird sie festgenommen und auf der Wache extrem gefoltert, sodass sie 3 Tage später verstirbt. Das Land beginnt zu brodeln und überall gehen die Leute auf die Straße.
Dabei geht es nicht direkt um das Kopftuch, sondern um den Machtapparat an sich. Der Iran ist die einzige Islamische Republik der Welt und die Macht unterliegt den zwei Ajatollahs, den höchsten Gelehrten. Sie kontrollieren sowohl den Präsidenten als auch die Sittenpolizei und die Medien. Gegen ‚Staatsfeinde‘ wird mit härtester Macht vorgegangen, eine freie Meinung darf man sich hier öffentlich nicht bilden. Auch Touristen haben diese Härte immer wieder erleben müssen und so gibt es Fälle – wenn auch wenige – in denen unwissende Touristen wegen des Filmens in kritischen Regionen oder anderen willkürlichen Handlungen im Gefängnis gelandet sind. Deshalb hatte das Auswärtige Amt bereits vor dem Tod von Amini von Reisen in den Iran abgeraten.
Nun scheint ein Wendepunkt erreicht. Die Menschen wollen nicht mehr die Augen verschließen und unterdrückt werden. Was die Iraner zuvor hinter verschlossenen Türen gemacht haben – sich gegen die Regierung auszusprechen – machen sie nun öffentlich auf den Straßen und riskieren jeden Tag ihr Leben. Überall in den Medien ist der Iran das wichtigste Thema Nummer eins und es werden Bilder von vollen Straßen gezeigt, Frauen verbrennen ihre Kopftücher, schneiden ihre Haare ab und rufen: „Frauen, Leben, Freiheit.“
Für uns ändert sich damit natürlich die Reisesituation. Es ist schwer zu beschreiben, was in diesen Tagen in unseren Köpfen vorgeht. Zunächst braucht es etwas Zeit, bis die Proteste anlaufen und die Geschehnisse vollends zu uns durchsickern, denn unterwegs verzichten wir weitestgehend auf die Nachrichtendienste. Persönlich bekommen wir von den Protesten nichts mit.
Ohne Berührungspunkte mit der politischen Lage des Landes geht es für uns zurück nach Shiraz. Bevor es jedoch wieder in das Gewusel der Stadt geht, fahren wir außerhalb des Zentrums zum Maharlu Lake. Der große Salzsee schimmert an vielen Stellen rosarot und bietet einen beeindruckenden Anblick. Mit George können wir bis weit auf den See fahren und genießen endlich mal etwas Privatsphäre im Iran. Zu Fuß erkunden wir die interessante Oberfläche des Sees und laufen soweit auf die Mitte zu, bis unsere Füße langsam die Oberfläche durchbrechen und immer mehr einsinken. Wir genießen die frisch gewonnene Privatsphäre. Hier sind wir so einsam, dass Eileen zum ersten Mal außerhalb von George ihr Kopftuch ablegen und ins Top schlüpfen kann.
Am nächsten Morgen teilt uns George mit, dass er malwieder durstig ist und so ist das erste was wir machen, Ausschau nach einer Tankstelle zu halten. Inzwischen sind wir ja schon sehr geübt im Tankspiel, doch heute werden wir mal wieder überrascht. Der erste Trucker, den wir nach Sprit fragen, möchte 45.000 Rials pro Liter von uns, das 15-fache des normalen Preises. Das ist ein neuer Rekord. Natürlich lehnen wir ab und versuchen jemanden anders zu finden, doch der Trucker ruft den anderen Fahrern etwas auf Farsi zu. Vermutlich sagt er, dass sie uns nichts geben sollen, denn die anderen Fahrer lehnen alle ab. Glücklicherweise kommt ein Held angebraust. In der Zeit, in der ich vorne zwischen den Zapfsäulen hin und herrenne, hat ein weiterer Truck hinter George gehalten. Ein kleiner bärtiger Mann steigt aus und beginnt ein Gespräch mit Eileen, die in dem Defender sitzt. Sie unterhalten sich über das Auto, die Reise und über Deutschland. Eileen ergreift die Situation und fragt nach einer Tankfüllung. Freudig bietet er uns seine Karte an. Unser Held tankt also für uns auf und geht nicht auf die Sprüche der anderen Trucker ein, die vehement versuchen, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Als wir ihm Geld geben möchten, lächelt er nur und lehnt mehr als dreimal ab (Taroof). Immer wieder erstaunlich, dass es, wenn es ums Tanken geht, hauptsächlich zwei Extreme im Iran gibt. Entweder man zahlt zu viel oder gar nichts. Heute haben wir mal wieder Glück, bedanken uns und fahren glücklich von der Tankstelle.
Wieder geht es für uns in die spannende Stadt Shiraz. Diesmal entscheiden wir uns für das klassische Touristenprogramm und besuchen die Nasir al Mulk Moschee, die wunderschön verziert ist. Das Besondere sind jedoch die vielen Buntfenster zum Innenhof. Morgens wirft die Sonne ein unbeschreibliches Farbspiel in den Raum. Wir sind zwar erst mittags hier, aber dennoch leuchten die Farben beeindruckend und glücklicherweise ist der Raum beinahe menschenleer.
Der zweite Tagespunkt ist die Vakil Moschee. Diese liegt nur ein paar Meter weiter in der Innenstadt und ist gut zu Fuß erreichbar. Was diese Moschee auszeichnet ist eine große Säulenhalle. Auf Farben im Inneren wird komplett verzichtet und es gibt nur wenige Verzierungen. Das Raumgefühl wird dadurch jedoch nicht schlechter, ganz im Gegenteil. Zuerst rücken die vielen Säulen in den Mittelpunkt, danach plötzlich man selbst. Wir setzten uns auf die ausgelegten Teppiche und genießen den Moment und die kurze Ruhe, bevor es wieder weitergeht.
Auf dem Rückweg zum Defender entdeckt Eileen plötzlich ein kleines Restaurant in einem Innenhof. Es ist liebevoll eingerichtet und so entschließen wir uns hier zu Abend zu essen. Hier gibt es endlich verschiedenste vegetarische Gerichte und mal nicht das Übliche, Kebab mit Reis.
Nach dem Essen brechen wir auf. Wir freuen uns auf die nächsten Tage, denn unsere Wüstentour mit Payam steht ja noch aus. Bevor es jedoch soweit ist, besuchen wir aber nochmal Mohammad, Fatima und Maral bei Persepolis. Natürlich werden wir hier wieder herzlich empfangen. Mohammad hat uns fast täglich geschrieben, dass wir sie doch nochmal besuchen sollen. Zwischenzeitlich war diese intensive Kontaktfreudigkeit wirklich schwierig für uns. Wir wissen jedoch, dass es nur gut gemeint ist und so überraschen wir die Familie mit unserem Auftauchen. Natürlich kommen wieder Verwandte vorbei und wir zeigen Bilder von unserer Heimat und Familien. Plötzlich wollen sie Hochzeitfotos sehen, denn beim letzten Mal haben wir gesagt, dass wir verheiratet sind. Da Fatima gläubig ist, haben wir uns entschlossen die Wahrheit zu verschweigen. Vor allem weil wir dort übernachtet haben. Schon vor der Reise haben wir oft gelesen, dass viele Overlander in diesem Punkt schwindeln. Im Iran ist es nämlich nicht erlaubt, sich ein Zimmer zu teilen (in einigen Hotels wird inzwischen für Touristen eine Ausnahme gemacht), Händchen zu halten oder gar Zärtlichkeit in der Öffentlichkeit auszutauschen, wenn man nicht verheiratet ist. Kurzum behaupten wir in auf diese Frage hin, dass es ein Reiselaptop sei und wir keine Bilder haben. Glücklicherweise wird nicht weiter nachgehakt. Wir gehen zum Schwager und da dieser Trucker ist, wird wieder darauf bestanden, uns Sprit zu schenken. Nicht nur der Tank wird vollgemacht, nein auch die Kanister. Aber das ist nicht alles, ein weiteres Fass wird hergeholt und ebenso gefüllt. Im Iran wird die Gastfreundschaft wirklich bis zum Maximum ausgereizt. Dass wir in George nun ein Fass Diesel trotz des geringen Stauraumes mitschleppen, und der Innenraum nach Diesel stinkt, ist egal, ablehnen gibt es nicht. Aber auch hier wissen wir ja, es ist nur gut gemeint und kommt vom Herzen.
Das Verabschieden fällt schwer, denn nur ungerne lassen sie uns weiterziehen. Als wir ein paar Meter gefahren sind, ruft uns Mohammad erneut an und meint, dass wir etwas vergessen haben. Er kommt hinterhergefahren und wirft uns 2.000.000 Rial ins Auto (umgerechnet 6€). Zuvor haben wir bereits mehrfach sein Geld abgelehnt. Nun lässt er aber nicht mehr mit sich sprechen. Unangenehm berührt, sind wir nun gezwungen nach unzähligen Versuchen abzulehnen sein Geld anzunehmen und verabschieden uns. So nehmen wir erneut die Lektion mit auf die Reise: Materieller Reichtum spielt keine Rolle, was wahrer Reichtum ist sind gemeinsame Erlebnisse.
Von diesen gemeinsamen Erlebnissen haben wir schon unzählige auf dieser Reise gemacht, und so ein Erlebnis steht nun auch wieder an: Unser erster Trip in die Wüste. Ausgangspunkt ist das kleine Dörfchen Izadkhast, das an der Dasht-e Kawir Wüste liegt. Hinter einer alten Karawanserei, die nun zu einer Unterkunft mit Fremdenzimmern umgenutzt wurde, schlagen wir unser Nachtlager auf und warten auf Payam und seine Freunde, die am Morgen zu uns stoßen wollen. Natürlich sind wir etwas aufgeregt und freuen uns. So gelten unsere letzten Gedanken vor dem Einschlafen der anstehenden Tour.
Früh werden wir wach, füllen Georges Tank und die Kanister mit dem geschenkten Dieselfass auf und treffen die anderen in einem Restaurant im Ort. Unsere Kolone besteht aus zwei Mitsubishi Pajeros, einem Suzuki und George. Beim Essen besprechen wir die Route und gehen die Vorräte durch. Zwei Tage wollen wir in der Wüste verbringen. Nachdem die Planung abgeschlossen ist geht es in die Autos, wir folgen für gut 20 Minuten einer Straße und biegen dann plötzlich nach links ab, um in die Wüste einzutauchen. Zunächst ist der Untergrund noch relativ fest und so fahren wir bis kurz vor den Übergang zum weichen Sand. Hier steigen wir aus, um die Luft aus den Reifen zu lassen. Von 2,8 Bar gehen wir auf 1,1 Bar runter. Außerdem haben wir bereits am Morgen die Schmutzlappen nach oben gebunden, damit wir sie beim Einsinken nicht abfahren und alle Öffnungen im Innenausbau mit Krepband vor dem eindringenden Sand geschützt. Nun sind wir für unser Wüstenabenteuer richtig vorbereitet!
Das Fahren auf dem weichen Sand fühlt sich ungewohnt an. Es scheint zunächst, als käme man kaum voran. Erst wenn eine bestimmte Geschwindigkeit erreicht ist, schwebt George über den Sand. Der Trick bei Wüstenfahrten ist tatsächlich die Geschwindigkeit. Da der Suzuki kaum Power hat und auf normale Straßenreifen fährt, macht er nach den ersten paar Metern bereits schlapp und fährt sich fest. Kaum haben wir ihn herausgezogen, graben sich die Räder ein paar Meter weiter wieder in den Sand. Kurzerhand lassen wir den Suzuki zurück und verteilen die Insassen und das Gepäck auf die übrigen Autos.
Woran denkt ihr bei einer Wüstenausfahrt? Ich hatte damit gerechnet, dass wir frei Schnauze über die goldgelben Dünen jagen. Die Realität sieht jedoch etwas anders aus. Wir fahren ein kleines Stück, dann geht es zunächst zu Fuß über die Dünen, um so die geeignete Strecke zu finden. Wie wichtig das ist, merken wir mit George sehr schnell. Während die Pajeros 220 PS haben und genug Drehzahl um die steilen Dünen heraufzujagen, macht George schnell schlapp. Vor der ersten steileren Düne bin ich sehr aufgeregt. Was passiert, wenn ich es nicht schaffe? Auf befestigten Hängen rutscht der Wagen meist direkt Rückwärts herunter wenn er nicht weiter kommt, was sehr gruselig und anspruchsvoll ist. Doch im Sand ist das Ganze viel entspannter. Sobald man nicht mehr vorankommt, graben sich die Vorderräder in den Sand und der Wagen bleibt einfach stehen. Ganz entspannt kann man dann den Rückwärtsgang einlegen und wieder hinabgleiten. Unser Gewicht ist vollbeladen einfach zu schwer und uns fehlt die hohe Drehzahl für anspruchsvolle Dünen. Ich hätte wirklich gedacht, dass das ein Klacks für George wäre, aber es zeigt sich: Der Defender ist ein Meister der langsamen Kraft, Sand ist nicht sein Spezialgebiet.
Als es langsam auf den Abend zugeht, suchen wir uns ein Nachtlager flankiert von Dünen aus und beginnen unser Camp aufzubauen. Direkt werden die Hijabs abgelegt, es wird laut Musik gehört und getanzt, was eigentlich im Iran verboten ist und auch der erste Alkohol wird ausgepackt. Es gibt Bier und selbstgebrannten Wodka, denn eine gekaufte Flasche kostet hier auf dem Schwarzmarkt um die 70 Euro. Am selbst gemachten Feuer wird gegrillt, und so genießen wir den Abend in der Abgeschiedenheit. Man könnte fast vergessen, dass wir im Iran sind. Als wir schlafen gehen und das Feuer sowie die Lichter erlöschen, erstrahlt der Nachthimmel in seinen schönsten Farben. Hier, ohne Lichtverschmutzung, funkeln die Sterne am Firmament. Das ist kein Spruch, denn bei genauem Hinsehen funkelt jeder Stern tatsächlich. Was für ein Anblick!
Am nächsten Tag geht es weiter durch die Wüste. Irgendwann kommen wir auf die Idee, die Autos zu tauschen. Payam steigt in George, während wir in den Pajero steigen. Eileen sitzt am Steuer und gerade als sie startet, knallt es im Motorraum. Der Hilfskeilriemen, der die Kühlung antreibt, reißt. Eileen kann natürlich nichts dafür, macht sich jedoch Vorwürfe. Eine Panne in der Wüste will man nicht. Glücklicherweise kann der Wagen noch bewegt werden, wenn auch langsam, damit er nicht überhitzt. Da der Riemen gewechselt werden muss, geht es langsam aus der Wüste in die nächstgelegene Stadt. Dort schaffen wir es tatsächlich den Riemen neu zu spannen und da wir noch Zeit und Lust haben geht es zurück in die Wüste. Wir toben uns nochmal mächtig aus bis es dunkel wird und fahren in der gerade eingetretenen Dunkelheit mit eingeschalteten Zusatzscheinwerfern zurück auf die Straße. Was für ein Abenteuer!
Nun heißt es Abschied nehmen von unserem neuen Freund Payam, den wir wirklich lieb gewonnen haben. Nachdem wir die Reifen in einer Werkstatt wieder aufgepumpt haben, trennen sich unsere Wege. Für Payam und seine Freunde geht es zurück nach Shiraz in den Süden, während wir weiter zurück in Richtung Norden zur Grenze unterwegs sind.
Die Situation im Land spitzt sich scheinbar zu, wir erhalten die ersten Nachrichten von Freunden und Verwandten, die besorgt nach uns fragen. Während in den deutschen Medien die schlimmsten Bilder gezeigt werden, bekommen wir persönlich immer noch nichts mit. Wir sind wirklich froh, dass wir bereits auf dem Rückweg sind. Dennoch wartet das ein oder andere Abendteuer auf uns und glücklicherweise handelt es sich bei diesen Momenten um schöne Erlebnisse, die unterstützen, wie wir dieses großartige Land mit seinen tollen Bewohnern kennen lernen durften.
gez. Alex
...hier siehst du unsere gesamte Route.
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